Kaffee-Kantate mit Bewirtung durch das Café Vreiheit

Friedenskirche Mülheim

Samstag 30.10. 15:00 Uhr

Zu Bachs Zeit waren die sich neuerdings in Europa ausbreitenden Kaffeehäuser schwer in Mode. Aber auch gefürchtet, denn sie galten doch tatsächlich als anrüchige 'Drogenkonsumorte'! Aufputschende Wirkung und Verwirrung wurden dem „Türkentrank“ nachgesagt, und so nimmt es nicht Wunder, dass damals vor allem die Jugend vor dem Konsum der Kaffeedroge bewahrt werden sollte. In Bachs sogenannter „Kaffee-Kantate“ BWV 211 Schweigt stille, plaudert nicht greift der Vater gegenüber seiner Tochter zu einer drakonischen Drohung: Wenn sie das Kaffeetrinken nicht lässt, darf sie nicht heiraten! Wie dieser Streit wohl ausgeht? In Köln können Sie die Kantate entspannt bei Kaffee und Kuchen genießen.

Ensemble

Ilse Eerens, Liesgen – Sopran
André Pérez - Tenor
Raimund Nolte, Schlendrian – Bass

Capella Augustina

Michael Schmidt-Casdorff - Traverso
Cécile Dorchene - 1. Violine
Christoph Mayer - 2. Violine
Rafael Roth - Viola
Markus Möllenbeck - Violoncello
Miriam Shalinksy - Violone
Tineke Steenbrink - Cembalo
Andreas Spering – Leitung

Programm

Suite h-Moll für Traverso, Streicher & B.c. BWV 1067 - Menuet - Polonoise - Battinerie

„Kaffee-Kantate“ BWV 211 Schweigt stille, plaudert nicht!

Jugendkultur und Drogenerziehung ://: Drogenkultur und Jugenderziehung

Kaffee - der um 1650 im besten Fall als stimulierendes Medikament wahrgenommen und genutzt wurde, war um 1700 bereits ein etabliertes Getränk in Europa, wenn auch nicht der gesamten Bevölkerung, sondern eher den tonangebenden, kulturtragenden und modebewussten gesellschaftlichen Schichten des Adels. Der Aristokratie aber war nicht so sehr das Getränk wichtig, als vielmehr der Kaffee als ein Vehikel, außergewöhnliche Formen der Eleganz, der Grazie und der Preziosität zum Ausdruck zu bringen und zur Schau zu stellen. Diese Absichten existierten nicht für das Bürgertum, das in seinem Streben, die Aristokratie zu kopieren, das Getränk der Luxuskultur des Adels enthob und einem bis dahin in seinem Umfang nie gekannten Konsum zuführte.

Das erste öffentliche Kaffeehaus wurde 1670 auf der Messe von Saint Germain eröffnet. 1683 lud das erste Kaffeehaus in Wien zu Kaffee und Kuchen ein und schenkte erbeuteten türkischen Kaffee aus.

Die Behörden betrachteten den Kaffeekonsum der Untertanen mit Argwohn deshalb, weil man vom Kaffeetrinken noch nicht wusste, ob es schädlich für den Körper sei oder nicht. Unter den deutschen Städten zeichnete sich Leipzig durch eine besonders starke Neigung zum Kaffee aus. Bereits 1697 erließ der Rat der Stadt Leipzig ein Dekret gegen das »ungebührliche Thee- und Caffeeschenken«, dessen ungeachtet gab es in Leipzig bereits 1725 immerhin acht privilegierte Kaffeehäuser.

1723 hatte das größte und berühmteste Kaffeehaus Leipzigs seine Tore geöffnet. Gottfried Zimmermann hatte das Palais in der Catharinenstraße (eine der vornehmsten Straße Leipzigs hinter dem Marktplatz) erworben und leitete als Betreiber und Besitzer die Geschicke seines Kaffeehauses bis 1741. Das Zimmermannische Kaffeehaus besaß einen Saal, der für Konzerte selbst mit größeren Ensembles geeignet war und etwa 150 Zuhörern Platz bieten konnte. Für seinen Saal etablierte Zimmermann eine neue Veranstaltungsreihe, die heute als ›öffentliche Konzerte‹ bezeichnet würden: Das ganze Jahr hindurch erklangen wöchentlich zwei etwa zweistündige Konzerte. Im Sommer wich Zimmermann mit den Konzerten ins Freie, in den sogenannten Kaffeegarten, aus – der Organisator dieser Konzerte war kein Geringerer als Johann Sebastian Bach.

Wenn Johann Adam Hiller 1784 rückblickend formuliert, die Leipziger »Kaffeehäuser sind lange […] ein Asylum der Musik gewesen«, dann zielte seine Aussage auf die Möglichkeit armer Studenten, dort mit ihrem Musizieren Geld zu verdienen. Im Zimmermannischen Kaffee-Haus schien eine Variante bürgerlicher Tafelmusik stattgefunden zu haben, wofür Zimmermann sogar Instrumente für das dort musizierende Collegium musicum kaufte.

Neben den ›extraordinairen‹ Konzerten (wie Fest- und Huldigungsmusiken) fanden die ›ordinairen‹ Konzerte statt, im Winter freitags von 20-22 Uhr im Zimmermannschen Kaffeehaus, im Sommer mittwochs von 16-18 Uhr im Zimmermannschen Kaffeegarten, zu Messezeiten dienstags und freitags von 20-22 Uhr, ebenfalls im Zimmermannschen Kaffeehaus.

Damit war Bach neben seiner Tätigkeit als Kantor und Lehrer auch mit der Organisation der wöchentlichen öffentlichen Konzerte beschäftigt, in denen er Werke von Zeitgenossen ebenso aufführte wie eigens dafür geschaffene Kompositionen.

Die sogenannte Kaffeekantate Bachs könnte 1732 vermutlich zusammen mit der sog. Bauernkantate BWV 212 als letzte oder eine der letzten Kantatenkompositionen Bachs überhaupt entstanden sein. Der Text der Komposition stammt von Christian Friedrich Henrici, genannt ›Picander‹ und findet sich in dessen Sammlung Picanders Ernst-Scherzhaffte und Satyrische Gedichte, III. Theil … Leipzig 1732, dort unter dem Titel XIV. Uber den Caffe / Cantata abgedruckt. Picander selbst galt den Zeitgenossen keineswegs als harmloser Gelegenheits- oder Huldigungsdichter barocken Zuschnitts. Vielmehr fungierten z.B. seine Lustspiele Der Academische Schlendrian, der Ertzt-Säufer und die Weiber-Probe als scharfsichtige und scharfzüngige Sittengemälde der Leipziger Gesellschaft, weshalb der Rat der Stadt Leipzig schon einmal die eine oder andere Schrift Picanders konfiszieren ließ.

Die Erweiterung des Picanderschen Textes um die Texte zu den Sätzen 9 und 10 der Komposition wird einerseits durch die Hand von Johann Sebastian Bach selbst vermutet, andererseits durch einen anonymen Dichter auf Bachs Veranlassung angenommen (wobei die Weiterdichtung durch Picander selbst der Forschung in jüngerer Zeit als doch eher unwahrscheinlich gilt).

Bachs ›moralische‹ Kantaten, deren Texte durchgängig Themenkreise wie ›Tugend und Laster‹ berühren, scheinen für die Collegiums-Konzerte besonders geeignet. Die Besetzung dieser im Kammermusikstil gehaltenen Kantate BWV 211 ist recht klein. Außer einer virtuos eingesetzten Flötenstimme (Aria Nr. 4) begleiten Streicher und Basso continuo die Interpreten. Die sängerische Besetzung bleibt streng rollenfixiert: Neben der Person des Erzählers agieren nur die Tochter Lieschen (deren Rolle in einer nicht ganz ernst zu nehmenden Aufführung auch mit einer falsettierenden Männerstimme karikierend gedacht werden kann) und ihr Vater Schlendrian. Diese drei werden zum Ende der Kantate zur ›Moral von der Geschicht’‹ in einem Ensemble zusammengeführt (Coro Nr. 10). In der Charakterisierung der Typen verfährt Bach nach dem Kontrastprinzip, »sie ist die leichtlebige aber unschuldige Jugend, er schwerfällig und altväterisch herbe« (Spitta II, 473), was so viel meint wie: Der Alte brummt und poltert (Aria Nr. 2), grübelt und dünkt sich wichtig (Aria Nr. 6), während Tochter Lieschen in der Empfindung des Genusses schwelgt (Aria Nr. 4) und sich auf den zu erwartenden Bräutigam freut (Aria Nr. 8).

Die formale Auffälligkeit, dass trotz zwei geringfügig voneinander abweichender Fassungen keine Ouverture überliefert, sicherlich aber erklungen ist, mag mit den Aufführungsumständen erklärbar sein; denkbar ist, dass ein ohnehin im Konzert aufgeführtes Instrumentalstück (in passender Tonart) als Instrumentaleinleitung diente.


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